Was verbinden wir Europäer mit Nigeria? 190 Millionen Einwohner, etwa 11 Flugstunden von Österreich entfernt, Boku Haram, Unruhen, Dritte Welt Land, Urwald,….. So oder so ähnlich könnte die Antwort von einem Europäer lauten, der spontan mit dieser Frage konfrontiert wird. Aber: da der Südosten Nigerias zu 95% vom Christentum und Naturreligionen geprägt ist, gibt es hier auch keine Unruhen durch die Boku Haram, also, Angst unbegründet. Und was uns in diesem Land sonst erwarten wird, darauf waren meine beiden Söhne und ich sehr neugierig. Heuer wollte ich erstmals mein 12-jähriges Patenkind besuchen.
Am Dienstag, den 24.7., trafen wir 20 ReiseteilnehmerInnen am Flughafen Schwechat ein. Mehr als 40 Gepäckstücke wurden eingecheckt, die Hälfte davon war gefüllt mit Geschenken der Pateneltern, die dieses Jahr nicht mitfuhren, für deren Patenkinder. Über Paris ging der Flug, mit einem Zwischenstopp in Abuja, weiter nach Port Harcourt, wo wir die erste Nacht verbrachten. Am nächsten Tag besichtigten wir auf der Fahrt in Emeka´ s Heimatdorf Umunohu, eine Erzbischöfliche Anlage und am späten Nachmittag kamen wir an. Die Herzlichkeit und Fröhlichkeit mit der wir „Onye Ocha“ begrüßt wurden, sollte uns während unseres gesamten Aufenthaltes begleiten.
Nach der offiziellen und sehr berührenden Begrüßung durch Emeka’ s Eltern, bei der jeder von uns einen wunderschönen afrikanischen Stoff als Gastgeschenk bekam, wurde auch schon von den Schneiderinnen und Schneidern Maß genommen und nur 24 Stunden später hatten wir unsere edle Kleidung, die wir später zu allen offiziellen Einladungen und Anlässen trugen. Das umfangreiche Programm, das Emeka für die kommenden 10 Tage plante, konnte auch der immer wieder einsetzende Tropenregen nicht einschränken.
Donnerstag, 26.7.: Euro in Naira, der heimischen Währung, wechseln und schon ging es mit unserem Bus zum großen Wochenmarkt. Flankiert von zehn Securities, die für die gesamte Dauer unseres Aufenthaltes von der Regierung abgestellt waren, wurden wir schon beim Aussteigen von unzähligen Kindern und Erwachsenen begrüßt, teils mit Verwunderung, mit Freude über ein gemeinsames Foto oder einen geschenkten Kaugummi und, in diesen Tagen so oft gehörten, „you are welcome“. Düfte von getrocknetem Fisch, Gemüse, Obst, afrikanischen Stoffen, Regennassem, eisenhaltigen, roten Sandboden lagen in der schwülen Winterluft – es ist Winter, also Regenzeit bei ca. 25 Grad plus und einer Luftfeuchtigkeit von etwa 98%. Anschließend fuhren wir zu einer Trauerfeier und erwiesen einer, mit 108 Jahren, Verstorbenen die letzte Ehre. Die unzähligen Trauergäste tanzten, musizierten, lachten, aßen und tranken gemeinsam, aus Freude, dass die Verstorbene ein schönes, ausgefülltes und langes Leben haben durfte. Nach der Tradition der Igbos werden die Toten auf ihrem Grundstück begraben, da ihre Seele auch über den Tod hinaus Teil des Hauses bleibt und somit weiterlebt. Auf einen Friedhof „abgeschoben“ zu werden ist einfach unvorstellbar und der Toten unwürdig. Wieder zurück bei Emekas´ s Familie erwartetet uns ein köstliches Nachtmahl, das üblicherweise aus viel Gemüse und Obst, wie Yams, Fufu, Mais, Avocados, Papayas, Moi Moi (aus Bohnen) und wenig Fleisch, wie Huhn oder Fisch, besteht. An diesem Tag hatte Gabi Geburtstag und Emeka ließ eine große Torte aus Owerri besorgen. Ein fröhliches „Ogolodondo“ (dt. Prost) lässt den Tag ausklingen.
Freitag, 27.7.: Endlich hatte es kurzfristig zu regen aufgehört und eine kleine Gruppe versammelte sich zur ersten morgendlichen Joggingrunde. Begleitet von Securities liefen wir durch den Busch, und Emeka erklärte uns, dass es in diesem dichten Dschungel so gut wie kein Gewächs gibt, das nicht für Nahrung sorgt. Papayas, Piers, Avocados, Mais, Yams, Orangen, Limetten, Kokosnüsse, Palmölkerne, Cashews, Suppenkräuter,….. alles, was hier wächst, hat eine Funktion für die Lebenserhaltung.
Beim offiziellen Empfang der Landesregierung unter Gouverneur Owelle besuchten wir auch das neu errichtete Elitegymnasium „East High School“, das mit Britischer Kooperation im September in Betrieb gehen und Führungskräfte ausbilden wird. Der Luxus und die feudale Ausstattung dieser Einrichtung standen im krassen Gegensatz zu unserem Besuch im Steinbruch am folgenden Samstag. Wir sahen zu, wie aus Metertiefen Gruben Steine in aufgeschnittenen Kanistern, auf dem Kopf getragen, an die Oberfläche befördert und dort von weiteren Familienmitgliedern mit einfachsten Werkzeugen für den Straßen- oder Hausbau zerkleinert wurden. Eine der Frauen fing unsere, offensichtlich mitleidsvollen, Blicke auf, lachte und rief: „I am happy!“ Die Freude der Arbeiter über unsere mitgebrachten T-Shirts, Kappen und Getränke war unglaublich. Obwohl vor zwei Jahren erst das Fundament gelegt wurde, geht Emeka’ s Schule, im September in Betrieb. Bei unserem Besuch waren die Arbeiter gerade dabei, Stühle und Tische für die Klassenräume zusammenzubauen, wir erfuhren, wie Ziegel entstehen, nämlich ein Gemisch aus Beton, Sand und Wasser wird in ein quaderförmiges Gefäß gedrückt, wie ein Sandkuchen umgekippt und nach zwei Tagen in der Sonne stehend, können die Ziegel auch schon verarbeitet werden. Das Gymnasium bietet Platz für bis zu 1000 Kinder, ca. 400 Fenster sollen sie vor Staub und Regen im Klassenraum schützen und selbst die Stromversorgung für künftige Beamer ist angelegt. Wir waren immer wieder beeindruckt, mit welch unermüdlichem Engagement und großer Weitsichtigkeit Emeka seine Projekte und Ideen umsetzt, um in diesem Teil seines Landes die Lebensqualität und Bildung zum Wohl der Bevölkerung zu verbessern.
Zurück im Dorf wurden wir beim abendlichen Spaziergang innerhalb von Minuten von unzähligen Kindern und Jugendlichen begleitet, jeder von uns hatte mindestens drei an jedem Arm, viele Fragen zum Leben in Österreich wurden gestellt, es wurde viel gelacht und mit Taschenlampen fanden wir den Weg zurück.
Sonntag, 29.7.: Ein weiteres Highlight war der Besuch einer afrikanischen Messe in der „Holy Ghost Parish“ Kirche. Die angekündigte Dauer von vier Stunden wurde tatsächlich eingehalten. Aber afrikanische Messen sind viel kurzweiliger gestaltet als Messen bei uns. Ghospels, Tänze, Trommeln oder auch kabarettistische Einlagen gestalten diese sehr fröhlich und lockerer und es ist kein Problem, die Kirche zu verlassen um sich für ein paar Minuten die Füße zu vertreten. Der Nachmittag stand ganz im Zeichen der Geschenkestraße, zu der sich 820 Kinder im Hof der Familie Emeakaroha einfand und wir jedem zwei bis drei kleine Geschenke, wie Kugelschreiber, Luftballons, Spielzeug, T-Shirts oder Süßigkeiten geben konnten. Nach einer aufregenden Stunde war dieser Event auch schon wieder Geschichte und der Regen hielt sich bis zur letzten Minute zurück. Für den Abend war Partynight angesagt und dazu hatten die Mädchen des Hauses bereits untertags eine tolle und sehr anmutige Tanzchoreografie mit anschließender Modeschau eingeübt.
Montag, 30.7.: Angeführt von der Oberschwester wurden wir von tanzenden Krankenschwestern des „Madonna Austrian Hospital Ihitte“ begrüßt und zum Mittanzen eingeladen. Das Spital ist ein weiteres Projekt von Emeka. 2013 wurde es eröffnet und mit österreichischer Unterstützung konnten wichtige Stationen eingerichtet werden, wie z.B. die Notaufnahme, eine Spitalseigene Apotheke, eine gynäkologische Ambulanz, eine Geburtenstation - für die Neugeborenen werden erstmals Geburtsurkunden ausgestellt und wir erfahren auch, dass afrikanische Babys bei der Geburt hellhäutig sind-, Labors, eine Augenambulanz mit einer toll eingerichteten Werkstatt, in der Brillen und Brillengläser angepasst werden. Die Ärzte sind rund um die Uhr vor Ort und werden von österreichischen Ärzten, Optikern und Krankenschwestern, die jedes Jahr im Jänner für drei Wochen hier ehrenamtlich tätig sind, immer besser geschult. Ein weiteres einzigartiges Projekt der Hilfe zur Selbsthilfe.
Am Nachmittag hatten wir die Möglichkeit, unsere Patenkinder endlich kennenzulernen, mit ihm einige Stunden zu verbringen und gemeinsam zu einer Schule zu fahren, in der in dieser Woche Schulaufnahmetests stattfanden. Als Lehrerin war ich von diesen Tests beeindruckt – entsprechend dem Alter des jeweiligen Kindes mussten Aufgaben zu geometrischen, mathematischen Fragen oder zu Textanalysen in einem sehr umfassenden Ausmaß gelöst werden und erinnerten absolut an österreichische Standards.
Dienstag, 31.7.: Nach der konsequenten morgendlichen Joggingrunde stand der Besuch im „Biafra War Museum“ an mit einer anschließenden Visite beim Bischof Amatu in Ogigwe. Der Besuch im Museum war für meine Söhne und mich ernüchternd und auch wenn wir selbst mit dieser, so traurigen, Geschichte der Befreiungsbewegung des ehemaligen Biafra (Teil des heutigen Imo State) vom übrigen Nigeria in den 1967er bis Anfang der 1970er Jahren damals nichts zu tun hatten, war für uns das Verhalten der weißen Bevölkerung einfach nur beschämend. Wer sind wir, die wir uns damals und schon viele Jahrzehnte davor und leider immer noch, anmaßen, „Lenker des Weltgeschehens“ zu sein und dabei aus Gier mehr Trauer und Verwüstung in die, von Weißen besetzten Staaten gebracht haben und bringen? Für meine Söhne und mich stellten dieses Hintergrundwissen und diese Fragen während unseres Aufenthaltes oftmals bei vielen unserer wunderbaren Begegnungen und Ausflüge in diesem Land eine große Herausforderung im Bewältigen der Erlebnissen zwischen den beiden Welten dar.
Bischof Amatu, ein sehr ungezwungen wirkender und fröhlicher Mann, empfing uns in seinen Räumlichkeiten und weil der Nachmittag bereits so weit fortgeschritten war, wurden wir zu einem gemeinsamen, gemütlichen Essen eingeladen. Danach besichtigten wir den, im Jahr 1986 begonnenen Bau, der dem Kolosseum in Rom nachgeahmt wurde, in dem Tausende von Gläubige Platz finden könnten, aber seine Fertigstellung könnte zu einem Jahrhundertprojekt werden.
Mittwoch, 1.8.: Auf unserer heutigen Joggingrunde führte uns Emeka zu einer etwa 3 km entfernten Wasserstelle, aus der die Dorfbewohner, ungeachtet der Qualität des Wassers und vor allem der Krokodile darin, Jahrelang Wasser geholt hatten, bis Emeka’ s Familie in ihrem Hof einen Brunnen schlagen ließ und heute die Bewohner mittels Zapfhähnen trinkbares Regenwasser entnehmen können. Zurück im Hof gab es die Möglichkeit, weitere Patenschaften zu übernehmen und so wurde ich zweifache „Patengroßmutter“ durch meine beiden Söhne. Bei einem Spaziergang durchs Dorf besuchten wir einen blinden Mann – wieder eine berührende und herzliche Begegnung, besonders auch, als er ein Lied für uns sang. Barfuß, mit Machete bewaffnet und von einem Lianenring gesichert, sahen wir einem Palmenkletterer zu, wie er in schwindelerregender Höhe die riesigen Dolden der Palmnüsse abschlug und später bei einem Palmölbauern, wie die Kerne zu Öl verarbeitet werden.
Purer Zufall oder Vorsehung? Im Hof wartete ein junger 17-jähriger Mann auf uns. Er hatte, als wir vor Tagen auf dem Wochenmarkt waren, von einer Frau erfahren, dass Emeka im Land ist und sie riet ihm, Emeka seine Modelle zu zeigen - einen ferngesteuerten Bus, sowie ein vierstöckiges Haus, dessen Etagen einzeln beleuchtet werden konnten. Er erzählte, dass er die Matura sehr gut geschafft hatte, und sein größter Wunsch wäre es, an der Technischen Universität in Owerri Maschinenbau zu studieren. Franz und Renate aus unserer Gruppe sagten spontan zu, die fünfjährige Uniausbildung finanziell zu übernehmen. Nicht nur der junge Mann, dessen Leben sich an diesem Tag mit einem Schlag um 180 Grad wendete, sondern auch wir waren sprachlos von diesem wunderbaren Angebot. Ein weiterer Anlass für ein fröhliches „Ogolodondo“!
Donnerstag, 2.8.: Besuch beim Medizinmann: von einem gleichberechtigten Dasein zwischen Schul- und Alternativmedizin könnten wir uns etwas abschauen - in Nigeria funktioniert es tatsächlich. Anschließend fuhren wir zum Markt, um noch einige Mitbringsel für zu Hause einzukaufen und am Abend war das große Motorradfahren durch den Busch angesagt, ein lustiges und tolles Spektakel!! Unsere Verabschiedung durch Emeka’ s Eltern war sehr innig und herzlich und wir konnten es nicht glauben, dass wir am nächsten Tag unsere Reise zurück nach Wien starten sollten.
Lieber Emeka, vielen Dank für diesen wunderbaren Einblick in dein Land.
Brigitte, Max und Tobias